Dienstag, 14. Juni 2016

Fazit Pollizisation

Ab dem nächsten Verbandswechsel wurde Gott sei Dank alles besser. Die Wunde heilte schnell. Alle zwei Tage wurde der Verband gewechselt. Ich und mein Mann wurden von Schwester Maren, einer ausgebildeten Handschwester, ausgiebig für den Ernstfall zu Hause trainiert. Wir haben uns mehrmals gegenseitig die Hand verbunden, während die Maus amüsiert zusah.

Ich habe während des Klinikaufenthalts zwei Kilo abgenommen... Nach einer Woche wurden wir entlassen. Ich habe dann mit der Maus noch ein paar Tage bei meiner Schwägerin verbracht, bis die Fäden gezogen werden konnten. Dazu hatte die Maus wieder die Scheiß-egal-Tropfen bekommen. Fädenziehen ist nicht schön, aber erträglich. Ich glaube die Maus war hauptsächlich mit der Gesamtsituation unzufrieden. Wir mussten dann noch warten, bis die Wirkung der Tropfen nachließ und dann sind wir mit dem Zug wieder nach Hause zu unseren Männern gefahren.


 Die Maus nach dem Verbandswechsel, noch etwas benebelt von den Tropfen

Der erste Verbandswechsel zu Hause lief gut. Ich war der Verbandsbeauftragte. Wir haben das Verbandsmaterial von unserem Kinderarzt verschrieben bekommen. Ich glaube, in sehr kleinen Städten ist es ratsam die Apotheke im Vorraus darüber zu informieren, was man so alles braucht. Ich musste bei uns tatsächlich drei Apotheken abklappern, bis ich alles zusammen hatte.

 Na, das sieht doch schon vielversprechend aus.

 Mit der rechten wird geschmiert und mit der linken festgehalten.

 Oder man löffelt den Honig ohne Brötchen.

 Mjamm

 Die Ärzte in Hamburg waren ganz interessiert an Marens linkem Zeigefinger, der auch ohne OP schon ein Bisschen wie ein Daumen zu benutzen geht.

Nach drei Wochen konnte der Verband tagsüber weggelassen werden. Das heißt allerdings j-e-d-e-n Abend verbinden... Mittlerweile brauche ich schon keinen Assistenten mehr, die Maus hat selber mitgeholfen. Das nächtliche Verbinden soll die Position des neuen Daumens noch sichern.

Nach sechs Wochen hatten wir einen Termin in Hamburg zur Kontrolle. Mein Mann ist mit der Maus hingefahren, ich hatte erstmal genug von Krankenhäusern und Händen. Leider ist die Gegenüberstellung noch nicht zufrieden stellend. Nun muss die Maus schon seit April nachts eine Plastikschiene tragen. Sie macht das ganz super, aber es nervt. Die Hand wird auch zweimal täglich durchgeknetet um die Narbe zu lockern. Am Anfang fühlte sie sich wirklich sehr knotig und dick an. Mittlerweile sieht man sie an manchen Stellen kaum noch. Mit der Beweglichkeit im Grundgelenk bin ich noch nicht ganz glücklich, aber das wird schon noch.

Ich kann jedem, der sich mit der Entscheidung zur Pollizisation quält nur sagen:
MACHT ES!
Wir haben uns so viele Gedanken gemacht, ob wir es machen sollen oder lieber nicht. Im Nachhinein bin ich so froh über unsere Entscheidung.
Ihr glaubt gar nicht, wie man sich darüber freuen kann, wenn das Kind zum ersten Mal eine 0,5 L PET-Flasche mit nur einer Hand hält und daraus trinkt. Oder wie schön es ist, wenn beim Spatzierengehen dein Kind deinen Zeigefinger ergreift, um sich festzuhalten, und wenn sie stolpert, kann sie sich tatsächlich selber damit abfangen. Wenn sie klitzekleine Liebesperlen vom Tisch aufsammelt und sie sich in den Mund schiebt, platzt man fast vor Glück. Selbst wenn die Beweglichkeit von jetzt an nicht mehr besser werden sollte, uns haben sich durch die OP schon so viele neue Möglichkeiten eröffnet, von denen wir vorher gar nicht wussten, dass wir sie gerne hätten.

Verbandswechsel


Am nächsten Tag schaffe ich es tatsächlich den Morgen einigermaßen entspannt zu beginnen. Die Maus und ich wollen gerade zum Frühstück gehen als die Chirurgen hereinplatzen. "Jetzt ist doch Verbandswechsel!" Achso? Das wusste ich nicht, hat mir vorher keiner gesagt. Na dann los. Dr. Hülsemann muss anscheinend schnell in den OP, sie ist sehr in Eile. Ich nehme, mit der Maus auf dem Schoß, auf einem Stuhl im Behandlungsraum platz. "Passen Sie jetzt gut auf, später müssen Sie das selber machen!" Ok, volle Konzentration!

Der alte Verband wird mit einer Schere aufgeschnitten, die einzelnen Lagen weggepult. 
Die Hand sieht merkwürdig klein und schmal aus. Der neue Daumen steht steif und wie ein Fremdkörper ab. Um ihn herum ist eine dicke noch ziemlich blutige Narbe, die aber von Fettgaze halb verdeckt ist. (Diese Fettgaze - oder wie das auch immer heißt - sind kleine Gewebestücke mit Schmiere drauf, die verhindern, dass der Wundschorf am Verband kleben bleibt und abgerissen wird.) Die Fettgaze wird kurz gelupft, um zu schauen, ob irgendwas entzündet ist. In meinen Augen sieht es furchtbar entzündet aus. Alles ist geschwollen und rot, die Gelenke der Finger ganz dick. Die Ärztin meint es sieht gut aus. Die Maus ist genauso wenig überzeugt wie ich.

Dann geht's los. 
In eine kleine Kompresse wird ein Loch geschnitten und der Ringfinger durch dieses gesteckt. Das vehindert, dass die Finger später aneinander wundreiben. Soweit so gut. Dann wird eine zweite Kompresse wie ein Schal um den Daumen gelegt, so dass nur noch sein oberstes Gelenk herausschaut. So soll verhindert werden, dass der Daumen nach hinten überdehnt wird. Das hängt irgendwie mit den Sehnen zusammen, von denen die eine während der OP gekürzt werden kann, die andere aber nicht. Zwischen Daumen und Zeigefinger wird eine mittelgroße Kompresse, zur Hälfte gefaltet, gelegt, um die Zwischenfingerfalte groß zu machen. Eine zweite mittelgroße Kompresse wird dann genutzt um den Daumen komplett in die Gegenüberstellung zum Ringfinger zu ziehen. Das tut trotz Schmerzmittel weh und die Maus fängt an zu Schreien. 

Ich versuche alle Schritte in mein Gehirn zu brennen. Ich spüre Stresshormone durch meinen Körper zirkulieren, meine Beine fühlen sich kribbelig an, als hätte jemand eine Flasche Sekt in meinem Blut aufgemacht. Ich soll nach jedem Schritt das ganze Konstrukt festhalten. Dann wird eine selbsthaftende Binde drumrum gewickelt und zum Schluss eine normale Binde. Der Daumen wird auch dabei immer so gewickelt, dass die Gegenüberstellung zum Ringfinger hinhaut. Das tut Gott sei Dank nicht mehr ganz so doll weh. Die Wunde verschwindet unter haufenweise Stoff und die Maus beruhigt sich langsam. Ich habe es aufgegeben, mir alle Anweisungen und Tipps merken zu wollen. Das ging in der Eile einfach zu schnell. Die letzte Binde wird mit mehreren Klebestreifen (auch auf ganz bestimmte Weise) festgeklebt und wir sind fertig. Ich weiß nicht mehr, was Dr. Hülsemann dann noch zu mir gesagt hat, ich fiel ihr ins Wort mit "Mir ist schwindelig ..." Sofort nimmt jemand mir die Maus ab. Rege Betriebsamkeit bricht aus. Ich soll mich in mein Bett legen gehen. Ich stehe auf und gehe zur Tür. Mein Blickfeld wird immer kleiner und es wird langsam immer dunkler. Auf dem Flur stützt mich einer der Ärzte. Wie ich von der Zimmertür bis zu meinem Bett gekommen bin weiß ich nicht mehr, ab der Tür war alles schwarz. Nach ein Paar Sekunden Füße hoch halten kehrt mein Sehvermögen zurück. Die Maus ist im Arm der anderen Mutti im Zimmer und schaut mich besorgt an. Wer ist hier der Patient?

Ich zähle die Sekunden, bis der Papa und der große Bruder zum Besuchen kommen. Wir trauen uns in das Spielzimmer im Erdgeschoss, dass von 14 bis 18 Uhr von Ehrenamtlichen betreut wird. Ich sitze auf der Couch und bin so froh, mal nicht hinter der Maus hinterher rennen zu müssen. (Mittag wieder vergessen ...) Die Maus spielt schön mit ihrem Bruder.



Abends überkommt mich Panik. Ist morgen schon wieder ein Verbandswechsel dran? Ich frage die Schwester. Nein, erst übermorgen. Ich fang mit der Maus im Arm an zu heulen. Ich kann das nicht. Die Schwester meint, ich brauch ja nicht dabei zu sein. Aber ich muss das doch lernen, für zu Hause. Und außerdem kann ich doch die Maus nicht einfach allein lassen.
Bitte, bitte, lass es übermorgen besser werden.

Dienstag, 29. März 2016

Postoperativ


Die Maus ist am ersten Tag nach der OP pünktlich halb sieben wach. Um sieben kommen die Handchirurgen zur Visite, gerade als ich beim Anziehen der Maus die Krise kriege, weil kein Pullover über die Hand zu passen scheint. Der Wickelpulli verrutscht ständig, den ziehe ich ihr nicht nochmal an. Gott sei Dank entdecke ich da den Strickpulli, den meine Mama uns extra mit aufknöpfbarem Ärmel gemacht hat. Die Maus will die restlichen Reiswaffeln haben. Das Frühstücksbrötchen mag sie nicht. Für die Eltern gibt es auf der Station leider kein Essen. Man bekommt bei der Anmeldung einen Zettel, mit dem muss man dann in das Bistro gehen und sich dort im Austausch gegen 5€ Pfand eine Besucherkarte besorgen. Damit kann man dann die drei Mahlzeiten des Tages "bezahlen". Ein wenig kompliziert, aber man gewöhnt sich dran. Für die Kinder muss man für Frühstück und Abendessen eine Art Bestellschein ausfüllen und auf der Stationsküche abgeben. Dort wird dann alles zusammengestellt und aufs Zimmer gebracht. Ratet mal wie oft ich das Ausfüllen vergessen habe ...
Ich muss sagen, dass das Essen im Wilhelmsstift seeeehr gut ist. Dadurch, dass man seine eigenen Portionen erstellen kann, wird auch nicht so viel Essen weggeschmissen wie in anderen Krankenhäusern.

Ich schaukel, auch wenn meine Mama dabei einen Herzkasper kriegt!

Wer baut den höchsten Turm?

Na, ich natürlich!

Und wer schubst ihn um?

Niemand! 
 
Ich traue mich nicht die Maus mit runter ins Bistro zu nehmen um zu Frühstücken. Ich frage also eine der Schwestern, ob sie vielleicht kurz auf sie aufpassen könnte, damit ich mir mein Frühstück hochholen kann. Kein Problem.
Als ich wieder auf die Station komme, sitzt die Maus auf dem Schoß der Schwester und malt mit der linken Hand Kringel auf ein Papier. Zu mir zurück will sie gar nicht. Mein Frühstück zu essen schaffe ich kaum, da die Maus Hummeln im Hintern hat. Außerdem klaut sie sich auch noch mein Frühstücksei.

Ich versuche den ganzen Tag die Maus zu beschäftigen, was aber gar nicht so leicht ist, ohne die Hände benutzen zu können. Sie versucht nochmal zu malen, gibt aber schnell auf. Bücher blättert sie in Windeseile durch. Ich verbrauche das letzte Datenvolumen auf meinem Handy für Youtube-Videos. Durch das Ibuprofen scheint sie an der Hand recht schmerzlos zu sein. Ich habe trotzdem unheimlich Angst, dass sie beim Laufen hinfällt und die Hand dabei wieder verletzt. Damit sich das Blut nicht in der Hand staut, liegt sie schön hoch gelagert in einer Schlinge.

Ihr Mittagessen verschlingt sie wie eine kleine hungrige Raupe und braucht dann eine Ewigkeit um zum Mittagsschlaf Ruhe zu finden. (wiedermal: Ein Königreich für ein Einzelzimmer!) Völlig erschöpft schlafe ich auch ein. Mein eigenes Mittagessen habe ich vergessen.

Da sie so schön isst, braucht sie die Flexüle nicht mehr und sie wird entfernt.
Am Nachmittag kommt der Papa und ich kann mal in Ruhe duschen gehen und kurz abschalten. Mir ist schlecht. Vielleicht vor Hunger, den ich nicht so richtig spüren kann. Die Übelkeit wird schlimmer und ich bitte die Schwestern um ein Mittel dagegen, das ich auch bekomme. Der Papa ist wieder los gegangen und ich muss einsatzfähig sein. Zum Abendessen bin ich zu müde und habe auch keinen Appetit. Die Magentablette wirkt langsam und ich bin um halb acht im Bett.

Montag, 7. März 2016

Wir haben es hinter uns

Am 23.01. hatte die Maus die Pollizisation und ist jetzt stolze Besitzerin eines Daumens. Im Krankenhaus hatte ich weder die Zeit noch den Internetempfang um aktuell berichten zu können, das hole ich hiermit nach. Da dieser Blog für mich vor allem Therapie ist, möge man mir verzeihen, wenn ich etwas abschweife.

Wir kamen am Montag vor der OP an. Wir sind mit dem Zug gefahren und das Krankenhaus ist mit dem Bus vom Hauptbahnhof aus gut zu erreichen. Uns wurde die Station und unser Zimmer gezeigt und wir hatten eine Vorbesprechung mit dem Anästhesisten, den Chirurgen und einen Termin beim Röntgen. Die Maus durfte sechs Stunden vor der OP nichts mehr essen und zwei Stunden davor auch nichts mehr trinken. Der Termin am nächsten Morgen war auf um 10 festgelegt, ok.
Dann um halb zwölf nachts das Desaster: Die Maus spuckt!
Der große Bruder hatte leider beim Mittagessen auch schon Bauchschmerzen und hatte sich ebenfalls übergeben. Ein Virus! NEIN!
Um 12 spuckte sie ein zweites Mal. Ich hatte den Nachtschwestern Bescheid gesagt. Den Rest der Nacht blieb es ruhig.
Am Morgen war die Maus fit und hätte vermutlich ein riesen Frühstück verspeist. Ich durfte ihr bis um acht noch Tee mit Traubenzucker darin geben, wovon sie aber nur wenig trank. Vermutlich habe ich es mit dem Traubenzucker etwas übertrieben ... Der Magen vom Spucken leer und frühstücken verboten. Auwei. Ich war noch nie so gut darin sie abzulenken wie in den drei Stunden vom Aufwachen bis zur OP. Sie wurde nochmal vom Anästhesisten- und Chirurgenteam untersucht und für fit befunden, was auch mein eigener Eindruck war (Sie hat mich nach einem Keks gefragt, ich sagte nein, sie haut frustriert nach mir, wenn das nicht nach Appetit aussieht)

Sie hat dann kurz vor 10 Uhr diese "Scheiß-egal"-Tropfen bekommen, sollte nochmal gewickelt werden und ein OP-Kleidchen angezogen bekommen. Die Tropfen bewirken Amnesie, wurde mir erklärt, das heißt, die Kinder erinnern sich später nicht mehr an die ganze Aufregung. Sie haben schon nach ein paar Minuten gewirkt. Sie fing an sich in Zeitlupe zu bewegen, die Augenlider auf Halbmast. Der Kopf rollte hin und her und sie fand ihre Hände plötzlich unheimlich faszinierend, diese Finger...und wie sie sich anfüüühlen... Ich grinse und die Maus fängt an wie ein Marihuana-Junkie zu kichern. Höhöhö. Sie kriegt sich kaum noch ein. Selber sitzen und stehen kann sie nicht mehr, sie kuschelt sich in dem rückenfreien Hemdchen auf meinen Schoß und betrachtet weiterhin fasziniert die Umgebung wie ein Neugeborenes. Ich muss den Kopf stützen, damit er nicht hintenüber kippt. Auf die Einstichstelle für die Flexüle wird ein "Zauberpflaster" geklebt, das den Bereich taub macht.

Dann holt uns die Schwester ab. Die Maus wird in ihrem Bettchen nach unten in den Aufwachraum gebracht. Hier warten wir nun, dass der OP frei wird und es los geht. Die Maus ist sehr fasziniert von den Elefanten auf ihrem Kopfkissen, die sie hartnäckig für Hunde hält. Sie entdeckt sie ständig neu und kichert, die Augen so dicht an den "Hunden", dass die Nase das Kissen berührt. Der Anästhesist versichert mir nochmal, dass das Spucken, auch wenn es vermutlich ein Virus war, kein Hinderungsgrund für die OP ist, weil sie ansonsten körperlich fit ist. Ok, ich hatte schon befürchtet, wir müssten alles ablasen und in einem halben Jahr nochmal wiederkommen. Dann wird die Maus in einem Nebenraum auf die eigentliche OP-Liege geschnallt, bekommt eine grüne Haube auf (findet sie nicht schick) und wird mitgenommen. - Ich muss betonen, dass alle Ärzte und Schwestern wunderbar auf Kinder eingehen und sie mit viel Einfallsreichtum während Untersuchungen und Behandlungen bespaßen. Man kommt sich auf keinen Fall irgendwie abgefertigt vor und doch geht alles schnell und effizient. - Ich gehe wieder hoch auf die Station und muss jetzt alleine die Zeit rumkriegen. Der Papa hütet bei der Tante zu Hause den Sohnemann und kann erst kommen, wenn sie Feierabend hat und den Großen übernehmen kann.

Ich kaufe mir im Bistro eine Rätselzeitschrift und fange unkonzentriert an zu rätseln. Dann nähe ich Knöpfe an den eigens für die Gipshand angefertigten Winterponcho (später mehr), flicke eine aufgeplatzte Naht an ihrer eigentlichen Winterjacke und unterhalte mich mit einer anderen kleinen Patientin im Elternzimmer. Die Zeit vergeht irgendwie. Ich denke bewusst nicht an dass, was gerade unten im OP passiert.

Mit Einschlafen, Operation und Verbinden sollte das Ganze vier Stunden dauern und ich werde auch fast genau nach vier Stunden zum Aufwachraum gerufen.
Die Maus liegt nur mit ihrer Windel bekleidet auf dem Bauch unter ihrer Bettdecke und schläft. Ihre frisch verbundene Hand liegt neben ihrem Kopf. Sie ist gar nicht eingegipst wie ich dachte, sondern nur dick verbunden. Es schauen drei Finger und ein rosiger Daumen raus. Ich streichle ihr über den Rücken und muss mich zusammenreißen um nicht zu weinen. Fang ich damit erst an, dann hört das nicht mehr auf. Ich bin furchtbar nervös und zittere. Bei jeder Bewegung im Schlaf kriege ich fast einen Herzkasper. Sie hebt ab und zu den Kopf und ich muss aufpassen, dass der dann nicht auf die Hand knallt. Im Aufwachraum ist es ruhig, ab und zu piepst eines der Geräte. Es dauert eine Weile, bis meine Maus anfängt aufzuwachen. Als erstes verlangt sie im Halbschlaf nach ihrem Spielzeugauto, dass bis hier runter mitgenommen werden musste. Sie drückt es an sich und schläft weiter. Nach einer Weile wird sie wieder langsam munter. Sie fängt an zu jammern und sagt Aua Aua. Ich sage der Schwester Bescheid und die Maus bekommt ein wenig Schmerzmittel. Später erfahre ich vom Chirurgen, dass sie die Hand eigentlich noch nicht spüren können sollte, da diese während der OP vollständig betäubt wurde.

Nach über zwei Stunden im Aufwachraum darf ich meine Mausi mit auf die Station nehmen. Dort wartet gerade der Papa auf uns. Die Maus ist groggy, aber vertilgt fast alle Minireiswaffeln, die ich noch von der Anreise übrig habe, die Kliniksalzstangen verschmäht sie. Die verbundene Hand findet sie nicht so gut, aber ganz schrecklich findet sie die Flexüle an ihrem rechten Fuß. Solange sie sie nicht sieht ist alles gut, aber wehe ihr Blick fällt darauf. Eine Schwester rät mir einfach eine Socke von mir drüber zu ziehen und siehe da, alles in Butter. Die Maus bekommt nun alle sechs Stunden Ibuprofen als Suspension. Die letzte Hürde des Tages ist das Anziehen. Gott sei dank habe ich einen Wickelpullover mit Ärmel zum Knöpfen genäht.

 Das erste Foto der Hand nach der OP

Es ist halb acht abends und ich lege mich mit der Maus zusammen in mein Bett. Ich bin todmüde, die Maus schläft schon. Die Hand soll möglichst hoch gelagert werden. Falls der Daumen bläulich aussehen sollte, liegt das daran, dass während der OP einige kleine Venolen geopfert werden müssen und daher der Abfluss des Blutes manchmal nicht gut funktioniert. Ich soll dann sanft über die Fingerkuppe streichen und so das Blut beim Weiterfließen unterstützen. Im Zwielicht des dunklen Zimmers sieht der Daumen jedesmal blau aus, wenn ich aus dem Halbschlaf hochschrecke. Ich streichle ihn vorsichtig und bilde mir ein, er wäre nun rosiger. Alles Quatsch, hier staute sich gar nichts, war nur meine Einbildung. Die Maus schläft durch bis zum Morgen (bis auf das nächtliche Ibuprofen). Das andere Kind im Zimmer leider nicht ... Ein Königreich für ein Einzelzimmer.

Mittwoch, 17. Februar 2016

Umgang mit ungeschickten Äußerungen anderer

Wenn man ein Kind hat, dass etwas anders aussieht als andere, dann tendiert man dazu, das Anderssein verstecken zu wollen, um keine blöden Blicke auf sich zu ziehen. Auch wir mussten uns einige dumme Bemerkungen anhören.
Mein schlimmstes Erlebnis bisher war noch direkt in der Wochenstation. Ich kam am ersten Morgen mit der Maus im Bettchen in den Frühstücksraum und da saß eine andere junge Mama mit ihrer eigenen Mutter an einem der Tische. Die Maus lag genau so im Bett, dass man ihren kleinen Hühnerflügel tatsächlich sehr gut sehen konnte. Und was machen die beiden? Zeigen mit dem Finger auf mich und mein Baby und tuscheln dabei so aufgebracht miteinander, als wäre ich nackt zum Frühstück erschienen. Sehr verletzend. Aber es kommt leider noch schlimmer ... Ein Jahr später gehe ich mit der Maus zur Eingewöhnung in die Kita und wer ist auch da? Ja, genau! Die unverschämte Tuschelmutti! Nach ein paar steifen Wortwechseln habe ich all meinen Mut zusammengenommen und ihr erzählt, was sie da in der Klinik eigentlich gemacht hat. Und? Peinliche Berührtheit? Verschämte Entschuldigung? Nein, obwohl ich sie direkt darauf angesprochen habe und ihr gesagt habe, dass mich ihr Verhalten fertig gemacht hat, bin ich überhaupt nicht zu ihr durchgedrungen. Komplett aneinander vorbei geredet. Ich versuche sie nun möglichst zu ignorieren und sie als etwas dümmlich abzutun, so habe ich wenigstens etwas Seelenfrieden.

Mehrmals ist es uns auch schon passiert, dass jemand zu uns meinte, wir würden unserer Tochter den Daumen oder den Arm verdrehen. Meistens kam so ein Kommentar, wenn die Maus gerade unwirsch schreiend bei einem von uns auf dem Arm war. Leute ... überlegt doch mal kurz was ihr da von euch gebt. Das letzte was Eltern mit einem schreienden Kind auf dem Arm, egal ob mit oder ohne Behinderung, noch brauchen ist ein schlauer Ratschlag. Bietet doch lieber eine Hand an. Eine, die den schweren Einkaufsbeutel abnimmt, oder den Wagen schiebt, solange der Sprössling auf Mamas Arm bleiben will. Das hätte mir schon so oft den Tag gerettet. Nur mal so als Tipp.

Mit der Zeit lernt man (oder vielleicht auch nicht) mit Kommentaren umzugehen. Wir hatten auch schon ein sehr witziges Erlebnis und ich muss schon wieder kichern, wenn ich daran denke. Wir waren in der Innenstadt spazieren und die Maus wollte alleine laufen. Irgendwann ist sie dann auf voller Länge hingeplummst und hat sich mühsam und ein Bisschen jammernd wieder hochgerappelt. Mit einem Mal fing eine Frau neben uns an in hysterisches Gekreische auszubrechen und wäre fast in Ohnmacht gefallen. Wir haben nicht verstanden, was los war, aber sie dachte, die Maus hätte sich den Arm gebrochen. Mein Mann und ich lachen jetzt noch schallend, wenn wir daran zurückdenken. Ein Bisschen gemein der armen Frau gegenüber, aber hihi, es war einfach zu köstlich.

Wir hatten also verletzende und erheiternde Kommentare, kommen wir nun zur letzten Kategorie: nervend

Die ständige Nachfrage danach, was denn nun "daran" "gemacht" werden könnte hängt mir so zum Hals raus. Ich lege schon nur noch die Platte auf und lass die schon etwas leiernde Tonspur laufen. Mein Mann meinte, ich soll einfach Visitenkarten mit dieser Blogadresse drucken lassen und die dann bei solchen Anfragen wortlos übergeben. Finde ich gut, damit fange ich demnächst an.
Es wäre doch so schön, wenn man einfach mal die Maus so akzeptieren würde wie sie ist, liebe Verwandtschaft, anstatt immer darauf zu warten, dass irgendwann einmal alles "normal" sein wird. Macht euch nichts vor, ihr macht uns mit dieser Nachfragerei keinen Mut und tröstet uns auch nicht. Die Maus ist, so wie sie ist, normal.

Ich versuche nicht mehr zu verstecken. Die Maus trägt im Hochsommer süße Trägerkleidchen. Ihr Arm ist deutlich zu sehen. Sie strahlt und bezirzt alle um sich herum. Und vielen fällt überhaupt nichts anderes an ihr auf als ihr offenes Wesen und ihr süßes Lächeln.

Mittwoch, 27. Januar 2016

Zauber der Bürokratie - ein Fallbeispiel

Wir hatten letzte Woche das erste jährliche Entwicklungsgespräch über unsere Maus mit einer Erzieherin ihrer Gruppe. Sie kommt im Alltag gut klar und lässt sich von den anderen Kindern nicht unterkriegen. Sie nimmt Hilfe nicht sofort an, sondern versucht alles ersteinmal alleine. Einschränkungen hat sie nur beim Klettern, weil ihr einfach die zweite Hand zum hochziehen fehlt. So weit so gut.

Leider sollen wir bitte bis zum Übergang von der Krippe in den Kindergarten, also bis zum dritten Geburtstag, doch einen Integrativplatz finden. Die Integrationshilfe, die wir ja im Falle eines Falles beim Sozialamt (immer noch keine Rückmeldung) beantragen wollten, ist im Grunde unnötig, da der Pflegebedarf der Maus nicht anders als bei anderen Kindern auch ist. Außerdem sind diese Kräfte auch keine ausgebildeten Heilerzieher oder überhaupt Erzieher. Es sind einfach nur ungelernte Hilfskräfte, die die Erzieherinnen entlasten sollen (soweit ich weiß). Unsere Erzieherin meinte, dass die Maus sehr davon profitieren würde, von jemandem betreut zu werden, der weiß, bei welchen Dingen sie gefördert werden sollte und was man bei ihr vermeiden muss. Nun stehen wir ja wie schon erwähnt seit einiger Zeit ganz oben auf der Warteliste des Montessori-Kindergartens (bei uns DER Kindergarten für Integration), jedenfalls wurde mir das gesagt. Nun habe ich bis heute nichts von der Leiterin dort gehört. Ich rufe also dort an. 

"Ach ja, wir haben uns gerade letzte Woche noch mit den Kollegen über ihre Tochter unterhalten."

Irgendwie unterhalten sich zufällig immer alle Leute über unseren Fall, kurz bevor ich dann nach langer Wartezeit mal dort anrufe um den Stand der Dinge zu erfahren ... Muss Telepathie sein ... Sie steht immernoch auf der Liste. 

"Aber dieses Jahr sieht's schlecht aus, da müssen wir mal schauen. Aber bestimmt Anfang nächsten Jahres." 

Genau das wurde uns auch schon letztes Jahr gesagt ... Und bis heute habe ich wie gesagt noch nichts gehört.

Nun sollen wir dem Gesundheitsamt Druck machen, damit wir den nächsten freien Platz auch bekommen, denn der wird ja nach Dringlichkeit vergeben. HALLO??!
Ich denke wir stehen ganz oben auf der Liste und der Bedarf ist vom Amt auch bestätigt worden? Sie war dort zur Untersuchung mit allem Drum und Dran. Ich habe dort SEHR deutlich gemacht, wie dringend wir einen Integrativplatz suchen (inklusive peinlichem Tränenausbruch mit brechender Stimme ...).  Und doch soll ich da jetzt regelmäßig auf der Matte stehen, damit wir nicht vergessen werden??!
Oder ist die Amtsärztin der Meinung, das Problem mit der Hand hätte sich mittlerweile bestimmt verwachsen? Ach, na dann ...

Donnerstag, 7. Januar 2016

erster Operationstermin naht

Ende Februar haben wir den ersten Operationstermin für unsere kleine Maus im Hamburger Wilhelmstift. Dann soll an der rechten Hand der rudimentäre Daumen entfernt und der Zeigefinger umgesetzt werden, damit er dann als Daumenersatz funktioniert. Das Ganze nennt sich Pollizisation. Ich versuche momentan nicht so genau darüber nachzudenken. Mir gefällt es sehr, was die Maus momentan mit der rechten Hand alles anstellen kann. Die Finger sind geschickt und kräftig. Ich habe Angst, dass es nach der Operation auch schlechter werden könnte. Momentan ist alles gut, warum daran etwas ändern? Natürlich weiß ich, dass es später nicht mehr ausreicht, wie die Hand jetzt funktioniert, sie braucht nun mal einen Daumen. Aber statt darüber allzusehr nachzudenken stürze ich mich lieber in die Kliniksaufenthaltsvorbereitungen. Wir brauchen Kleidung, wo der rechte Ärmel so weit ist, dass er über den Gips gezogen werden kann. Meine Mama hat schon einen schönen Wollpullover gestrickt, bei dem man den Ärmel aufknöpfen kann. Ich bin gerade dabei eine Wickeljacke zu kreieren, bei der die gesamte Seite mit Druckknöpfen zu verschließen ist. Die braucht also nur übergestülpt zu werden und dann schnapp schnapp schnapp. Ich muss diese Woche dringend noch eine Pension finden, in der mein Mann und unser Sohn für die 10 Tage Hamburg untergebracht werden können. Ich fahre auf keinen Fall alleine dort hin, ich kriege doch jetzt schon fasst einen Nervenkoller. Ich habe schon angefragt ob's die Scheißegal-Tropfen auch für hypernervöse Eltern gibt.
 Das ist ein etwas überbelichtetes Bild von Weihnachten.
Ich glaube, es ist das letzte Foto auf dem das Minidäumchen zu sehen ist.